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  SEBASTIAEN VRANCX (1573 Antwerpen – 1647 Antwerpen)
KARNEVAL AUF DER PIAZZA DI SAN MARCO
 
Datierbar um 1605
Öl auf Eichenholz, Höhe: 50 cm, Breite: 74 cm
   
  PROVENIENZ
Auktion London (Christie’s), 30. November 1979, Lot 77, als Louis de Caullery
Auktion Kopenhagen (Bruun Rasmussen), 20. September 2016, Lot 4 (als Louis de Caullery zugeschrieben)
Europäischer Privatbesitz
   
  LITERATUR
M. A. Katritzky, „Harlequin in Renaissance pictures“, in: Renaissance Studies 11 (1997), Nr. 4, S. 406, 410–412, Abb. 9 (als Sebastiaen Vrancx)
M. A. Katritzky, The Art of Commedia: A Study in the Commedia dell’Arte 1560–1620 with Special Reference to the Visual Records, S. 129–139, Abb. 125 (als Sebastiaen Vrancx), Amsterdam und New York 2006
M. A. Katritzky, „German Patrons of Venetian Carnival Art: Archduke Ferdinand II of Tyrol’s Ambras Collections and the 1579 Travel Journal of Prince Ferdinand of Bavaria“, in: Von kurzer Dauer? Fallbeispiele zu temporären Kunstzentren der Vormoderne, hg. von Birgit Ulrike Münch, Andreas Tacke, Markwart Herzog und Sylvia Heudecker, Petersberg 2016, S. 126–142, hier 127 f., Abb. 2
   
  Unter sonnigem Himmel offenbart sich das lebhafte Treiben auf der Piazza San Marco. Gruppen modisch gekleideter Frauen und Männer im Vordergrund beobachten verschiedene auf dem belebten Platz stattfindende Maskeraden wie die Umzingelung eines Stiers durch zahlreiche rot gekleidete Männer mit Lanzen oder einen Quacksalber, der von einem Lautenspieler begleitet auf einem Gerüst am Fuß des Campanile im rechten Mittelgrund seine Waren feilbietet.
 

Venedig oder La Serenissima – so der Name, unter dem die kleine, aber mächtige und wohlhabende Republik allgemein bekannt war – konnte sich einer reichen Tradition von Festen seiner Bürger rühmen. Der venezianische Karneval erfreut sich bis heute eines sprichwörtlichen Rufs. Der Winterkarneval entwickelte sich zu einem überaus verschwenderischen Fest, in dem die sozialen Hierarchien vorübergehend aufgehoben waren. Im Lauf des 17. Jahrhunderts wurde der Besuch des Karnevals für den jungen europäischen Adel zu einem beliebten Ereignis im Rahmen der Grand Tour durch Italien.
 

Die Darstellung des Karnevals vor dem Hintergrund der Architektur Venedigs lässt sich auf Zeichnungen in sogenannten alba amicora des späten 16. Jahrhunderts – einer Vorform des Freundschaftsbuchs – zurückführen. Flämische Künstler griffen das Thema bald in ihren Ölgemälden auf. Das vorliegende Werk ist ein besonders schönes und sehr frühes Beispiel dafür. Vrancx’ Szene gibt keine realistische Situation wieder. Der Künstler führt vielmehr in einer kunstvollen Kombination die repräsentativen Unterhaltungsszenen des venezianischen Karnevals vor Augen. Wir sehen den traditionellen Giovedì-Grasso-Stierkampf sowie Matachines an großen Trommeln, Akrobaten, professionelle Buffoni und ein Straßentheater mit einem Quacksalber und einem Lautenisten.
 

Das vorliegende und ähnliche Werke Sebastiaen Vrancx’ wie unter anderem die unsignierten, üblicherweise Luis de Caullery (1579/1581–1621) zugeschriebenen Gemälde des Markusplatzes mit Karnevalszenen können als Teil eines neuen und populären Genres betrachtet werden, das wohlbekannte Plätze in italienischen Städten wie in Florenz oder Rom darstellt, die typische Destinationen für junge wohlhabende Reisende waren. [1] Die architektonischen Hintergründe in diesen Gemälden dienen lediglich der Identifikation der Stadt und geben nie die genaue Situation vor Ort wieder. Selbst wenn der Künstler die Orte besuchte, beruhen, wie man weiß, die gemalten Kompositionen auf Stichen. Im Fall des vorliegenden Gemäldes orientierte sich Vrancx aller Wahrscheinlichkeit nach an einem um 1599 veröffentlichten Stich Donato Rasciottis (1572–1618), der den Platz aus genau demselben Winkel zeigt. [2]
 

Gentile Bellinis bekanntes Gemälde Prozession auf dem Markusplatz von 1496 in der Galleria dell’Academia in Venedig zeigt die gleiche Ansicht des Markusplatzes mit dem Dom im Hintergrund. Sie ist wahrscheinlich die erste Darstellung dieses städtischen Ensembles, das als einer der weltweit schönsten Plätze gilt. Mehr als ein Jahrhundert verging, bis eine ähnliche Ansicht gemalt wurde: Vrancx’ Gemälde zählt zu einem der frühesten seiner Art. Mit Werken wie dem Karneval auf der Piazza di San Marco ebnete Sebastiaen Vrancx den Weg für die großartigen venezianischen Vedutisten des 18. Jahrhunderts wie Luca Carlevaris (1663–1730) und Canaletto (1697–1768).
 

Sebastiaen Vrancx ist nicht nur die Entstehung des Genres der Vedute geschuldet. Er gilt auch als Erfinder des Schlachtenbilds. Seine künstlerische Laufbahn nahm jedoch in Italien ihren Anfang, wo er kabinettformatige manieristische Bibelszenen schuf, die an Paul Bril und Jan Brueghel den Älteren erinnern, mit dem er zusammenarbeitete. Nach seiner Rückkehr nach Flandern wandte er sich in Landschaften angesiedelten Genrethemen und Stadtansichten zu. Der Karneval ist ein auch in Vrancx’ sich flämischen Themen widmendem Œuvre wiederkehrendes Motiv. [3]
 

Die maskierten Personen im Zentrum des Vordergrunds des vorliegenden Gemäldes sind allesamt Standardfiguren der Commedia dell’arte, einer Form des volkstümlichen Theaters mit maskierten „Typen“, die im Italien des späten 16. Jahrhunderts ihren Ursprung hat und von reisenden Schauspielergruppen dargeboten wurde, die auf Skizzen oder Szenarien beruhende improvisierte Stücke zur Aufführung brachten. Der maskierte, rot gekleidete Mann ist Pantalone, eine egoistische, Gier verkörpernde Gestalt. Die Gitarre spielende Figur an seiner Seite ist der Diener Zanni. Die weiß gekleidete Figur mit den farbigen Flecken lässt sich als Arlecchino identifizieren; er wird von einem Tedesco, einem deutschen Söldner, begleitet. Spätestens in den 1570er-Jahren beschäftigte Venedig bereits Commedia- dell’arte-Truppen für Aufführungen im Karneval. [4]
 

Auffällig ist auch die Aufmerksamkeit, mit der Vrancx sich der Kleidung der anderen Figuren, vor allem jener der das Schauspiel verfolgenden Damen, widmet. Ihre Gewänder und Frisuren sind typisch venezianisch. Vrancx’ Interesse an fremder Mode zeigte sich bereits in einer Serie von Drucken von Pieter de Jode dem Älteren, welche Kleider verschiedener Länder darstellen (Variarum Gentium Ornatus).
 

Das bedeutende und gut erhaltene Gemälde auf einem schönen Eichenpaneel ist ein Meisterwerk aus Sebastiaen Vrancx’ früher Reifezeit.
 

Das Gemälde wurde gereinigt und ist gerahmt.
 

[1] Viele dieser unsignierten Gemälde, die üblicherweise de Caullery zugeschrieben werden, stammen wahrscheinlich von Vrancx. De Caullery bediente sich allerdings für die Darstellung der gleichen Motive eines ähnlichen Stils. Uns sind nur wenige signierte Gemälde de Caullerys bekannt; eines davon ist eine wimmelnde Karnevalszene auf einem Stadtplatz in der Hamburger Kunsthalle. Näheres zu diesem Bild und eine prägnante Einschätzung von de Caullerys Leben und Werk aus jüngerer Zeit findet sich bei Dieter Beaujean, „Louis de Caulery as a Draftsman“, in: Master Drawings 36 (1998), S. 398–408.
[2] Der große „La Meravigliosa Piazza de San Marco di Venetia“ betitelte Druck misst 38,5 × 50 cm. Eine schöne Kopie findet sich im British Museum in London (Inv. Y,2.37). Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Öffnungen der Alten Prokuratien links weiter entfernt sind.
[3] Die Elite der Südlichen und Nördlichen Niederlande konnte, um sich zu verkleiden, unter mehreren Ereignissen im Jahreslauf wählen: Kirtagen, Fastnachtsdienstag und Hochzeitsfesten. Eine Ansicht eines nächtlichen Karnevalszugs über die Meir in Antwerpen wurde als Lot 45 im Rahmen der Auktion bei Christie’s am 23. und 24. Juni 2015 verkauft (und erzielte 289.500 Euro). Eine Pantalone und Brighella, eine Dienerfigur, darstellende Commedia-dell’Arte-Szene wurde bei einer Auktion bei Southeby’s am 5. Juli 2012 als Lot 118A angeboten.
[4] Siehe Katritzky 2016, S. 127.
   
   
SEBASTIAEN
VRANCX
 
Sebastiaen Vrancx war der Sohn von Jan Vrancx und Barbara Coutereau. Karel van Mander zufolge lernte der junge Sebastiaen bei Adam van Noort (1562–1641). Von etwa 1596 bis 1600 lebte der Künstler in Italien. 1600/1601 war er in seine Heimatstadt Antwerpen zurückgekehrt, wo er sich als unabhängiger Meister in die Malergilde der Stadt einschrieb. 1610 wurde er Mitglied der Bruderschaft der Romanisten, einer exklusiven Gemeinschaft herausragender Persönlichkeiten, der auch Peter Paul Rubens angehörte. Seine aktive und führende Rolle in der Malergilde, in der er 1611 zum Oberdekan gewählt wurde, bezeugen seinen Rang. 1612 heiratete er Maria Pamphi, die Tochter eines Kunsthändlers und Schwägerin des Künstlers Tobias Verhaecht (1561–1631). Vrancx hatte auch literarische Ambitionen und gehörte der Rhetorikerkammer an. Er schrieb mehrere Komödien und eine Anzahl von Gedichten.
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